Ad Personam

Autographen

Paul Valéry: Notizen

Gedanken zu Prag - flüchtig festgehalten auf einer Vortragsreise des französischen Poeten, fielen mir auf einer Auktion im Dorotheum in Wien glücklich zu. Mit wenigen Strichen evoziert die Skizze den dunklen Zauber der Stadt Kafkas.

Manès Sperber

Mit allem Nachdruck wollte mir die Witwe des Schriftstellers das einzigartige Widmungsexemplar aus der Bibliothek ihres Mannes schenken. Bald darauf schon wurde mir klar, welche Rarität ich in den Händen gehalten hatte. Das Buch sollte 1938 in Wien erscheinen; beim Einzug der Nationalsozialisten jedoch wurde die gesamte bereits gedruckte Auflage vernichtet. Das gleiche Schicksal sollte es in Paris wieder ereilen, hier aber konnten einzelne Exemplare gerettet werden. Dieses Rarissimum befindet sich nun in den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek. Ich habe einen Neudruck herausgegeben.

Werner Bergengruen: Die himmlische Rechenkunst

Dieses Gedicht hab ich einmal geliebt. Als es in einer Auktion ausgerufen wurde, bat ich meinen ehemaligen Dienstgeber, das Deutsche Literaturarchiv, um Zurückhaltung. So konnte ich dieses kalligraphische Blatt, eine eigenhändige Reinschrift des Gedichts, glücklich erwerben. Der Autor, dessen "Großtyrann" als unverhohlene Anspielung auf Hitler verstanden wurde, ging in die Innere Emigration. Das Gedicht ist von mystischem Glauben geprägt. Mir ist geblieben und erscheint als "himmlische Rechenkunst" bleibend gültig: "… und der Mangel wird Gewinn".

Ilse Aichinger: Gebirgsrand

Die Dichterin scheint dieses Gedicht mehrfach niedergeschrieben zu haben. Die Fassung in meinem Besitz, erworben im Wiener Antiquariat Nebehay, zeigt marginale Abweichungen von der Druckversion. Aichinger machte eine wegwerfende Handbewegung, als ich einmal Gelegenheit hatte, sie zu dem doch etwas überraschenden Inhalt zu befragen: "Ach, das Gedicht... Es hat doch ein jeder Träume." Und doch: das Gedicht beschließt den Zyklus "verschenkter Rat" [sic], der mit dem Gedicht "Gebirgsrand" beginnt: "Denn was tät ich, / wenn die Jäger nicht wären, meine Träume..." Dieses Gedicht hatte Heinz Politzer einer enervierend intensiven Interpretation im Geiste des New Criticism unterzogen, und die Dichterin hat, wohl sardonisch lächelnd, "In einem" als literarische Gabe zu seiner Festschrift beigesteuert: "Und hätt ich keine Träume, / so wär ich doch kein anderer, / ich wär derselbe ohne Träume, / wer rief mich heim?"

Kurt Robert Eissler: Brief

Der große Analytiker und Begründer der Sigmund Freud Archives gab mir während seiner Sommeraufenthalte in Wien reiche Gelegenheit zum Austausch über "sein" Thema, das eine Zeit lang unseres war. Während des Jahres wurden ungezählte Briefe zwischen Wien und New York gewechselt: über Freud und die Anfänge der Psychoanalyse, die ich eines Tages veröffentlichen werde.

Gedichte

Mastu Basho

Uralter Teich.
Ein Frosch springt hinein.
Plop.

Matsuo Basho

Sur la mort - V

   Comme on voit sur la branche au mois de May la rose
En sa belle jeunesse, en sa premiere fleur
Rendre le ciel jaloux de sa vive couleur,
Quand l'Aube de ses pleurs au poinct du jour l'arrose :
   La grace dans sa fueille, & l'amour se repose,
Embasmant les jardins et les arbres d'odeur :
Mais batue ou de pluye, ou d'excessive ardeur,
Languissante elle meurt fueille à fueille déclose :
   Ainsi en ta premiere & jeune nouveuaté,
Quand la terre & le ciel honoroient ta beauté,
La Parque t'a tuée, & cendre tu reposes.
   Pour obseques reçoy mes larmes & mes pleurs,
Ce vase plein de laict, e panier plein de fleurs,
Afin que vif, & mort, ton corps ne soit que roses.

Pierre de Ronsard

 

Shakespeare-Gedicht

A woman's face, with Nature's own hand painted,
Hast thou, the master mistress of my passion;
A woman's gentle heart, but not acquainted
With shifting change, as is false women's fashion;

An eye more bright than theirs, less false in rolling,
Gilding the object whereupon it gazeth;
A man in hue all hues in his controlling,
Which steals men's eyes and women's souls amazeth.

And for a woman wert thou first created;
Till Nature, as she wrought thee, fell a-doting,
And by addition me of thee defeated,
By adding one thing to my purpose nothing.

But since she prick'd thee out for women's pleasure,
Mine be thy love, and thy love's use their treasure.

William Shakespeare

August von Platen

Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Menschen Wunde nichts,
Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Gesunde nichts,
Und wäre nicht das Leben kurz, das stets der Mensch vom Menschen erbt,
So gäb's Beklagenswerteres auf diesem weiten Runde nichts.

Einförmig stellt Natur sich her, doch tausendförmig ist ihr Tod,
Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner letzten Stunde nichts.
Und wer sich willig nicht ergibt dem ehrnen Lose, das ihm dräut,
Der zürnt ins Grab sich rettungslos und fühlt in dessen Schlunde nichts.
Dies wissen alle, doch vergißt es jeder gerne jeden Tag.

So komme denn, in diesem Sinn, hinfort aus meinem Munde nichts!
Vergeßt, daß euch die Welt betrügt, und daß ihr Wunsch nur Wünsche zeugt,
Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entschlüpfen eurer Kunde nichts!
Es hoffe jeder, daß die Zeit ihm gebe, was sie keinem gab,
Denn jeder sucht ein All zu sein und jeder ist im Grunde nichts.

August von Platen

Rainer Maria Rilke

GONG

NICHT mehr für Ohren...: Klang,
der, wie ein tieferes Ohr,
uns, scheinbar Hörende, hört.
Umkehr der Räume. Entwurf
innerer Welten im Frein...,
Tempel vor ihrer Geburt,
Lösung, gesättigt mit schwer
löslichen Göttern ...: Gong!

Summe des Schweigenden, das
sich zu sich selber bekennt,
brausende Einkehr in sich
dessen, das an sich verstummt,
Dauer, aus Ablauf gepreßt,
um-gegossener Stern...: Gong!

Du, die man niemals vergißt,
die sich gebar im Verlust,
nichtmehr begriffenes Fest,
Wein an unsichtbarem Mund,
Sturm in der Säule, die trägt,
Wanderers Sturz in den Weg,
unser, an Alles, Verrat...: Gong!

Rainer Maria Rilke

Paul Celan

Fadensonnen
über der grauschwarzen ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.

Paul Celan

Ingeborg Bachmann

Enigma
Für Hans Werner Henze aus der Zeit der Ariosi

Nichts mehr wird kommen.

Frühling wird nicht mehr werden.
Tausendjährige Kalender sagen es jedem voraus.

Aber auch Sommer und weiterhin, was so gute Namen
wie "sommerlich" hat -
es wird nichts mehr kommen.

Du sollst ja nicht weinen,
sagt eine Musik.

Sonst
sagt
niemand
etwas.

Ingeborg Bachmann

Eugen Gomringer

schweigen schweigen schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen   schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen schweigen schweigen

Eugen Gomringer

Christine Lavant

SEID HEUTE, aber für immer,
weiß ich: Die Erde ist wirklich warm -;
ich gebe der Nessel den Brand zurück
und dem Igel die Stacheln.

Seit heute ist alles mein Schutzpatron
und die ganze Welt eine Weidenwiege,
darin uns der Windstoß zusammenschaukelt
und unsren Atem verknotet.

Christine Lavant